In den neuen Bundesländern und in einigen Regionen in Westdeutschland besitzen die Bundesbürger praktisch keine Aktien oder Investmentfonds, in denen Aktien gebündelt sind.
Nur 1,6% der Ostdeutschen besitzen Investmentsfondanteile. In den westlichen Bundesländern dagegen 15,3%. Das ergab der Anlage-Atlas der Commerzbanktocher Comdirekt. Da viele Regionen in Ostdeutschland durch geringeren Wohlstand charakterisiert sind, sind die geringeren Ersparnisse anderweitig investiert: auf dem Sparbuch, in Fest- oder Tagesgeld und in Lebensversicherungen.
Der Armutsforscher Christoph Butterwegge sieht eine starke Korrelation zwischen Aktienbesitz und Reichtum, wie er am 01.08.2018 auf Business Insider feststellt. „Mit gewissen Verzerrungen durch das Stadt-Land-Gefälle beim Wertpapierbesitz spiegelt die Verteilung von Aktien und Fondsanteilen die Wohlstandsverteilung in Deutschland wider“. Dabei kommt es zu einer starken Spaltung des Landes zwischen Ost und West und zu einer weniger ausgeprägten zwischen Nord und Süd.
Menschen in ländlicheren Gebieten verfügen über mehr Aktien und Investmentfondanteile als Menschen in der Stadt, ergab der Anlage-Atlas der Comdirekt. Dieser Unterschied kann durch höhere Haushaltseinkommen der Menschen auf dem Land erklärt werden. Wo mehr Geld vorhanden ist, wird mehr am Kapitalmarkt investiert und anschließend höhere Kapitaleinkommen erzielt.
Diese Korrelation zwischen hohen Einkommen und Wertpapierbesitz sieht man am Beispiel des sehr reichen Landkreises Starnberg: Hier legen mehr Menschen ihr Geld in Wertpapiere an als in allen anderen Regionen in Deutschland. Weit mehr als die Hälfte (65,9%) hat in einen Fond investiert und 40,8% besitzen Aktien. Das korreliert mit den hohen durchschnittlichen verfügbaren Jahreseinkommen im Landkreis Starnberg. Hier hat jeder Einwohner im Schnitt 33.102 Euro laut Gesellschaft für Konsumforschung, was rund 144 Prozent des Durchschnitts in Deutschland entspricht. Der Landkreis mit dem geringsten verfügbaren Einkommen ist Görlitz, ganz im Osten, mit 18.157 Euro im Durchschnitt.
Die aktuelle Kombination von niedrigen Zinsen und einer Inflationsrate von 2 Prozent p.a. gefährdet den Erfolg der bevorzugten Sparformen der ärmeren Bevölkerungs-schichten. Lebensversicherungen, Sparbuch und Tagesgeld werden oft nicht mehr ausreichen, um für das Alter zusätzlich vorzusorgen.
Um diesen Teufelskreis von niedrigem Einkommen, geringer Risikoneigung und Unkenntnis zu durchbrechen sind radikale Reformen der Rentenpolitik und eine Revolution in der Altersvorsorge notwendig. Der stellvertretende Chefredakteur der Wirtschaftswoche Hauke Reimer argumentiert das Kursgewinne auf Aktien nach fünf Jahren steuerfrei sein sollen, damit viele Bürger Aktien kaufen und die Papiere lange halten. Statt für Mütterrente, Betreuungsgeld, Baukindergeld und Riesterförderung sollte der Staat Geld einsetzen, um Geringverdiener an Produktivkapital heranzuführen.
Auch der Börsenexperte Robert Halver plädiert für eine Revolution in der Altervorsorge. Im Manager Magazin vom 13.08.2018 argumentiert er das die unerschütterliche Treue deutscher Sparer zu Zinsanlagen eine auskömmliche Altersvorsorge vereitelt. "Und wo es keine Zinsen gibt, da hat sich ebenso der Zinseszinseffekt erledigt. Den Rest gibt uns die Inflation, die über den Zinsen liegt. Damit ist das einzig sichere an Zinspapieren der sichere Vermögensschwund." Auch Robert Halver fordert das breite Publikum am substanzstarken Produktivvermögen zum Zweck der Alterssicherung zu beteiligen, indem der Staat langfristig angelegte Aktiensparpläne steuerlich fördert.
Harald Freiberger in der Süddeutschen Zeitung vom 01.08.2018 stellt dazu fest: "In Deutschland aber regieren weiter Politiker, die Aktien für Teufelszeug halten und lieber den Lobbyisten der niedrigen Zinsen Geschäft zuspielen: den Banken und Versicherungen. Das beste Beispiel dafür ist die Riester-Rente, die mit viel Aufwand eingeführt wurde, den Bürgern aber weniger bringt als erhofft." Freiberger fordert das Normalverdiener steuerlich gefördert in Bürger/
Staatsfonds einzahlen, die weitgehend in Aktien anlegen. Halver argumentiert das der Anlagefokus auf Aktien-Fonds bzw. Aktien-ETFs aus dem Euro-Raum liegen sollte, um Währungsverluste zu verhindern. Er favorisiert große Leitindizes, um das Einzeltitelrisiko zu mildern. Wenn Aktien ausgewählt werden, bevorzugt er Unternehmen mit langfristig robustem Geschäftsmodell: Essen, Trinken, Wohnen, Gesundheit, Mobilität und Kommunikation.
Das Bürger/Staatsfond überaus erfolgreich sein können, zeigt der Norwegische Staatsfond. Für die 5,3 Millionen Norweger sind hier die Gewinne aus der Gas- und Ölindustrie in Höhe von 900 Milliarden Euro angelegt. Damit hat jeder Norweger fast 170.000 € auf der hohen Kante, von denen bis zu 70% in Aktien investiert sind. Zwischen dem 1. Januar 1998 und Ende 2017 erwirtschaftete der norwegische Staatsfonds eine durchschnittliche Rendite von 6,1 Prozent pro Jahr (Quelle: boerse.de). Im erfolgreichen Börsenjahr 2017 lag die Rendite bei 13,7 Prozent, was weit mehr als 10.000 € pro Einwohner Norwegens entspricht.
Um zukünftige demographische Herausforderungen in Deutschland abzufedern, sollten wir meiner Meinung nach ebenso über die Auflegung eines staatlich organisierten Fonds nachdenken. Dies wurde von der Hessischen Landesregierung als Deutschland-Fond gefordert, der betriebliche und private Altersvorsorge stützen soll. Dazu sagt Finanzminister Dr. Thomas Schäfer: „Der Staat muss besonders den kleinen Unternehmen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die sich in dieser Materie nicht gut auskennen, die Angst vor Komplexität und hohen Kosten der zusätzlichen Alters-vorsorge nehmen... Der Deutschland-Fonds tritt zu gleichen Wettbewerbsbedingungen neben die privatwirtschaftlichen Anbieter von Altersvorsorgeprodukten und wird dafür sorgen, verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen“.
Über das Hessische Modell hinaus könnten aktuelle Haus-haltsüberschüsse und Einnahmen aus der Erbschaftssteuer in einen Staatsfond mit hoher Aktienquote fließen. Dies könnte helfen die ab 2025 erwarteten Lücken in der gesetzlichen Rentenversicherung zu schließen.